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Tanzmeer, 2015, Öl auf Leinwand, 55 x 190 cm

Seit 1997 ersteht jedes Jahr im Sommer auf einem ehemaligen sowjetischen Militärflugplatz in Mecklenburg-Vorpommern das selbst ernannte „größte Ferienlager der Republik“: das Fusion Festival (verbreitet ist auch seine kyrillische Schreibweise ФУЗИОН). Unter dem Motto „vier Tage Ferienkommunismus“ versetzt das Ereignis seine Teilnehmer in einen kollektiven Ausnahmezustand, der die Sehnsucht nach einer besseren Welt spiegelt. Die vielfältigen Musikstile und Programmgattungen sowie der Verzicht auf Werbung, mediale Präsenz und Sponsoring unterscheiden das Fusion Festival und sein Publikum von anderen Raves.

Das Ehepaar Torsten und Nina Römer, bekannt unter dem Namen RÖMER + RÖMER, hat den Event in den Jahren 2012 bis 2014 besucht. Ihre Beobachtungen haben die beiden in unzähligen Fotografien festgehalten. Nach dem Auswählen geeigneter Motive und Ausschnitte haben sie die Bilder digital bearbeitet. Die so veränderten Daten dienten dem Künstlerduo als Ausgangsmaterial für Gemälde, die ihren fotografischen Ursprung nicht verleugnen. Fotorealistisch sind ihre teils großformatigen Arbeiten dennoch nicht. Entstanden sind künstlerische Transformationen, die verschiedene Eindrücke vom Festival bei Tag und Nacht und in unterschiedlichen Lichtstimmungen wiedergeben.

Vexierbilder im Selfie-Zeitalter

In vielen Abstraktionsschritten gelangen RÖMER + RÖMER vom ersten Netzhauteindruck über die Fotografie und die digitale Bildbearbeitung zur malerischen Umsetzung ihrer Themen. Das Paar zerlegt seine Motive auf der Leinwand in ein Pixelraster aus einzelnen Farben. Die Punkte mischen sich erst aus einer bestimmten Distanz im Auge des Betrachters zu einem scharfen Bild. Mit zunehmender Nähe zum Werk verlieren sich Menschen und Gegenstände im abstrakten Spiel der Farben: Das realistisch scheinende Abbild wird als komplexes Zusammenwirken von künstlerischen, sensorischen und kognitiven Prozessen und damit als Illusion entlarvt. Im Gegensatz zum impressionistischen Pointillismus können die Farbpixel als Referenz auf die digitale Bilderflut im medialen Selfie-Zeitalter gedeutet werden.

Die dargestellten Szenen avancieren so zu Vexierbildern einer Parallelgesellschaft. Das Kollektiv der „Fusionisten“ wird durch die spezifische Technik der Künstler verunklärt, beinahe mystifiziert, aber eben auch als Scheinbild entzaubert. Die Werke von RÖMER + RÖMER sind damit ebenso widersprüchlich wie die Festivalgemeinschaft: Die Fusion-Besucher schließen sich einem großen gemeinsamen Ideal auf Zeit an, wollen der Entfremdung und den Zwängen im Alltag für ein paar Tage entfliehen. Zu diesem Zweck ordnen sie sich vor Ort neuen Strukturen und Regeln unter. Gleichzeitig realisieren die Teilnehmer auf dem Festival ihren Drang nach individueller Freiheit, sind hedonistisch und nur sich selbst und ihrem Spaß verpflichtet.

„Paradoxe Gemeinschaften“

Diesen Widerspruch von Individual- und Kollektivinteressen hat die Soziologin Babette Kirchner in ihrer Studie über das Fusion Festival (Eventgemeinschaften. Das Fusion Festival und seine Besucher, Wiesbaden 2011) unter dem Begriff „paradoxe Gemeinschaften“ beschrieben. Als subtile Chronisten legen RÖMER + RÖMER diese Gegensätze in ihren emotionalen, reportageartigen und doch abstrahierenden Momentaufnahmen frei, ohne sie zu bewerten.

 

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