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  • Ludwig Seyfarth “Tanzen im Licht der Punkte: Römer+Römer und ihre Bilder vom Burning Man Festival”, 2019

Detail: Moon Landing Biker, 2018, Öl auf Leinwand, 230 x 600 cm (2-teilig)

Wenn verschiedenfarbige starke Lichter aus einer dunklen Umgebung herausstechen, denkt man zunächst an die nächtliche Neonbeleuchtung einer Großstadt. Dies mag manchen Betrachter*innen der Bilder, die Römer+Römer auf Grundlage ihres Besuches des Burning Man Festivals gemalt haben, auch so gehen. Was auf ihren Gemälden so grell leuchtet, dass man sich häufig geblendet fühlen würde, wäre es eine echte und nicht eine gemalte Lichtquelle, sind die oft originellen und technisch komplexen Illuminationen, die das Festival in großer Zahl zu bieten hat und mit denen die Teilnehmer unter anderem ihre fantasievoll gestalteten Art Cars ausstatten.
So sind auf dem Bild Art Car Skeleton vier große, an einem wohnwagenartigen Gefährt befestigte Scheinwerfer wie gigantische Sonnen direkt auf die Betrachter gerichtet. Immer wieder tauchen Leuchtbänder oder Displays in den Bildern auf. Electric Sky zeigt ein großes Display aus LEDs (light-emitting diode), das wie ein künstlicher Sternenhimmel über den Festivalteilnehmern thront. Auf dem Rundbild Electric Cloud wird die Wolkenform eines vertikal aufgestellten leuchtenden Displays von der Silhouette einer einsamen Tänzerin optisch durchschnitten.

Manchmal nur einzelne Menschen, manchmal kleinere Gruppen, aber stets locker und nicht gedrängt, verfolgen die Aktivitäten, stehen oder tanzen um die oft technisch aufwändig ausgestatteten Installationen. Der Bildraum ist eine kleine Bühne mit wenigen Akteuren, wie bei Black Rock Bandits Raccoon, wo sich mehrere Akteure schattenhaft vor dem Licht bewegen. Die Leuchtbänder folgen einer geometrischen Konstruktion oder bilden eine Zeichnung im Raum; das Licht am Himmel wirkt wie eine Bühnenbeleuchtung. Auf LED Bus bilden die Lichtbänder, welche die Umrisse eines offenbar auf einem doppelstöckigen Linienbus basierenden Art Cars aus der Dunkelheit hervortreten lassen, einen dynamischen
Kontrast zu der Rundform des Bildes.

Mit unterschiedlichen Bildformaten richten Römer+Römer den Blick entweder auf einzelne Details oder lassen die Augen der Betrachter panoramatisch entlangschweifen. Das gilt etwa für G, wo das extreme Breitformat dem dargestellten, wie ein langer Zaun oder eine Wand aufgestellten LED-Display folgt. Hier gibt es keine menschlichen Akteure. Es ist ein fast abstraktes Bild, mit dem Römer+Römer an ihre ungegenständlichen Anfänge anknüpfen: Strukturen und Muster aus Punkten reiner Farbe brachten sie direkt auf die Leinwand. Dieses Prinzip, dem sie bis heute generell treu bleiben, lässt bei den gegenständlichen Motiven an die Auflösung des Motivs in einzelne Flecken oder Punkte bei den Impressionisten und Pointillisten denken. Die abstrakten Bilder legen andere kunsthistorische Vergleiche nahe, etwa zu Victor Vasarelys Op-Art oder zu den Strukturen auf den Gemälden und Siebdrucken Almir Mavigniers, die vor meist schwarzem Grund zu sehen sind.

Die Farbpunkte, die im 19. Jahrhundert von naturwissenschaftlichen Theorien über die Farbe, beispielsweise beim Neo-Impressionisten Georges Seurat durch die des Chemikers Eugène Chevreul, inspiriert wurden, standen vor dem lebensweltlichen Hintergrund der beginnenden Elektrifizierung. Verschiedenste elektrische Beleuchtungstechniken sind spätestens in den 1960er Jahren aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken, als etwa die Künstler der Gruppe ZERO selbstgesteuerte Lichtquellen in ihren Reliefs und Objekten einsetzten. Zur selben Zeit begann die Op-Art, optische Effekte neuer Lichttechniken in der Malerei und Grafik zu reflektieren. Für helles sowie weithin sichtbares und vor allem farbiges Licht, das auch die nächtliche Dunkelheit taghell durchdringen konnte, stand lange Zeit die Neonröhre. Sie kommt auch seit den 1960er Jahren als Material in der Bildenden Kunst zum Einsatz, entweder direkt als Röhre ihre Lichtwirkungen im Raum einsetzend wie bei Dan Flavin oder als geformte Röhren, die Figuren oder Wörter bilden, wie beispielsweise bei Bruce Nauman.

In vielen Bereichen des Alltags, zunächst vor allem bei elektronischen Geräten, ist die Neonröhre zunehmend durch die LED ersetzt worden. Diese, Anfang der 1960er Jahre erfundene, nicht Wärme abstrahlende und digital optimal steuerbare Leuchtdiode war zunächst nicht in allen Farben herstellbar. Erst als in den 1990er Jahren auch grüne LEDs erhältlich sind, kommen sie als Leuchtmittel umfassend in Gebrauch. Neben ihrer Verwendung in digital gesteuerten Systemen stehen die aus vielen einzelnen Dioden bestehenden LED-Displays auch deshalb fast signethaft für das digitale Zeitalter, weil ihre Rasterstruktur die digitale Auflösung von Bildern in einzelne Pixel direkt zu veranschaulichen scheint.

In der Analogie von Pixel und Leuchtdiode lässt sich die zeitgenössische, technisch-wissenschaftliche Grundlage für die Maltechnik der Römers sehen. Sie spielt für die Künstler damit eine ähnliche Rolle wie einst Chevreuls Farbtheorie für Seurat. In die Malerei „übersetzt“, wird aus der Analogie von Pixel und einzelner LED jedoch eine andere: die zwischen dem gemalten Farbpunkt und dem LED-Licht, das er motivisch darstellt.

Mit der „Übersetzung“ digital gesteuerter Lichtinstallationen in die Malerei führen Römer+Römer auch gewissermaßen einen Paragone-Streit weiter, der in der Geschichte der modernen Malerei anstelle der klassischen Konkurrenz zwischen Malerei und Skulptur getreten ist. Es ist der Versuch, die Intensität des natürlichen oder künstlichen Lichtes mit malerischen Mitteln wiederzugeben. In einem Kinderbuch über Vincent Van Gogh, das ich in meiner Jugendzeit besaß, gehörte zu den erdachten persönlichen Erlebnissen des Malers, dass ihm immer wieder vorgeworfen wurde, die von ihm gemalte Sonne würde ja nicht wirklich strahlen. Die gigantischen leuchtenden Wirbel, die auf Van Goghs Sternennacht von 1889 zu sehen sind, hätten in der Realität allerdings mindestens die Lichtstärke der Scheinwerfer des Art Car Skeleton. Van Goghs Fantasiehimmel entfernte sich vom realen Stand der Beleuchtungstechnik, die Camille Pissarro in impressionistischer Manier wiedergab, als er 1897 den Boulevard Montmartre bei Nacht ins Bild setzte.

Wenn man die Darstellungsweise von Römer+Römer mit der urbaner Szenerien um 1900 vergleicht, steht sie eher Künstlern näher, die Elemente des Impressionismus mit der narrativen Linie des Realismus verbinden. Hier wäre beispielsweise Hans Baluschek zu nennen, der 1914 einen Berliner Rummelplatz bei Nacht malte. Die differenziert wiedergegebene gelbliche Beleuchtung eines Karussells und der am Bildrand zu sehenden anderen Jahrmarktstände kontrastiert mit der nächtlichen Dunkelheit sowie mit der meist dunklen Kleidung der im Vordergrund stehenden Menschen.

Vergleichbar erscheint vor allem das Bild der Römers Rabid Transit: Das helle gelbe Licht mehrerer Feuersäulen, die für einen kurzen Moment senkrecht aus einem surreal ausstaffiertem Art Car hervorschießen. Die teilweise neben ihren Fahrrädern, mit denen sie das ausgedehnte Festivalgelände durchqueren, stehenden und das Geschehen verfolgenden Menschen sind in ein mildes bühnenhaftes Leuchtlicht getaucht, das die Umrisse weniger auflöst als die Plastizität der Körper leicht modelliert. Solche momentanen Ereignisse gehören zum festen Repertoire des Burning Man Festivals, das nicht immer ganz ungefährlich ist. Bei den Kämpfen in einer Arena, die dem Dome aus dem Spielfilm Mad Max Beyond Thunderdome (1985) nachempfunden ist – nur eines von vielen cineastischen Zitaten vor allem aus dem Science-Fiction-Genre – kommt es manchmal auch zu ernsten Verletzungen. Wie ein archaisches Ritual wirkt es, wenn die auf eine geodätische Kuppel gekletterten Zuschauer die mit Keulen oder Stangen aufeinander losgehenden Kombattanten anfeuern. Römer+Römer haben es auf den Bildern The Climbing Spectators und Fight at Thunderdome aus unterschiedlichen Perspektiven eingefangen. Sie gehören zu den vielen klein- oder mittelformatigen Bildern, die den Fokus wie mit dem Teleobjektiv auf einzelne Momente richten, während viele größere Bilder eine gesamte Szenerie in panoramatischer Breite vorführen.

Auch mit den unterschiedlichen Bildformaten und Perspektiven vermitteln Römer+Römer eine Art erzählerisches Panorama des Burning Man Festivals. Daneben steht das letztlich auf den Impressionismus zurückführende Bestreben, Wahrnehmungseindrücke wie feine Differenzierungen der Lichtwirkungen so direkt wie möglich einzufangen. Jedem ihrer Bilder liegt ein längerer Prozess mit mehreren Übertragungsschritten zugrunde. Zunächst entstehen zahlreiche fotografische Impressionen. Aus den vielen Schnappschüssen werden diejenigen ausgewählt, die für eine Umsetzung als Gemälde geeignet erscheinen. Diese werden in einem ersten Schritt am Rechner weiterbearbeitet und dann vergrößert in Gemälde unterschiedlicher Formate übertragen. Anders als beim Impressionismus werden die einzelnen Bildpunkte nicht in reinen, sondern in bereits abgemischten Farben nebeneinander gesetzt, aber dabei fließende Übergänge konsequent vermieden. Im Unterschied zu früheren Bildern und Werkgruppen gibt es bei den Burning Man-Bildern auch immer wieder größere Bereiche oder Flächen, bei denen die Farbe gesprayt oder mit der Rolle aufgetragen ist. Dabei spielen spezifische Fotografieeffekte wie zufällige Anschnitte oder Unschärfen, die etwa Gerhard Richter bei seinem bewussten Malen nach Fotos besonders hervorkehrte, kaum eine Rolle. Eher treten in der malerischen Umsetzung bei Römer+Römer Effekte in Erscheinung wie die Verpixelung des Bildes, wenn die digitale Übertragung bewegter Bilder oder die Rechengeschwindigkeit im Ablauf einer Simulation hakt. Daran erinnert beispielsweise die Darstellung des Lichtscheins um die Lichtquellen herum, umfassend zu beobachten bei den vielen Lichtern auf dem panoramatischen Diptychon Moon Landing Biker. Bei manchen kleineren Bildern wie Meditation on an Art Car scheint die ganze Szene darauf zu warten, dass sich die verpixelten Konturen demnächst „zurechtruckeln“.

Wenn wir den Blick zu sehr auf derartige Medieneffekte als solche richten, verfehlen wir letztlich aber die Intention des Künstlerpaares. Der durch die Größe der Bildpunkte bedingte Eindruck der fließenden Auflösung ist ein Ausdrucksmittel, um die Unmittelbarkeit der Teilhabe an einem Event zu vermitteln, bei dem es keine bloßen Besucher oder Betrachter gibt, sondern bei dem sich jeder der 70.000 Menschen, die sich hier jährlich versammeln, selbst als Akteur versteht, der das Festival mitgestaltet. Auffällig ist, dass auf den Bildern nie große Menschenmengen zu sehen sind, sondern stets Einzelpersonen oder kleine Gruppen. Auch wenn die Menschen nicht als Individuen, etwa durch deutlich erkennbare Gesichter, in Erscheinung treten, wird keine Atmosphäre unpersönlicher Anonymität vermittelt. Römer+Römer richten den Blick immer wieder auf Einzelsituationen, in denen eine fast intime Stimmung entsteht. Die dargestellten Menschen sind höchstens über einzelne, erkennbare Kleidungsstücke bestimmten sozialen Gruppen oder Communities zuzuordnen, bleiben aber ansonsten – auch sozial – anonym. Gleichwohl verschwinden sie nie anonym in einer Menge. Das lässt sich auch als Versuch sehen, einer demokratischen Ordnung exemplarisch ästhetischen Ausdruck zu verleihen. Dass es Römer+Römer letztlich darum geht, mit ihrer Kunst eine positive Vorstellung des Kollektiven anschaulich zu machen, verdeutlicht schon ihr konsequent gemeinsames malerisches Vorgehen.

Und zur Darstellung eines solchen, mit seinen technisch aufwändigen Inszenierungen auch vom futuristischen Elan der Silicon Valley-Szene inspirierten Festivals das klassische Medium der Malerei zu nutzen, stellt fast automatisch Bezüge zur Kunstgeschichte her, zu der das Burning Man Festival selbst mit seinen originellen Installationen und Art Cars vielleicht auch bereits gehört.


Ludwig Seyfarth, geb. in Hamburg, Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie. Seit 1987 Tätigkeit als freier Autor. Gastprofessuren 2000/2001 an der HBK Braunschweig, 2002–2004 an der HfbK Hamburg, 2010–2012 an der Kunstakademie Münster. 2007 ADKV-Art Cologne Preis für Kunstkritik. Konzeption und Durchführung zahlreicher Ausstellungen, seit 2010 Kurator für Kai 10 | Arthena Foundation, Düsseldorf.

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