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Ausstellungsansicht mit Römer + Römer, 2020

Dr. Anett Göthe, Eröffnungsrede zur Ausstellung „Römer + Römer. Radical Ritual“ in der Galerie Lachenmann in Frankfurt am Main

Liebe Nina, lieber Torsten, sehr geehrte Gäste, liebe Freunde,

ich freue mich, Sie heute Abend zur Ausstellungseröffnung von Römer + Römer begrüßen und einige Worte zur Einführung in das Werk des Künstlerpaares sagen zu dürfen.

Sicherlich kennen Sie die Redewendung „Etwas auf den Punkt bringen“. Das Synonymwörterbuch offerierte zu dieser Redewendung unter anderem folgende Erklärungen: · Etwas auf eine einfache Formel bringen, komprimieren, konzentrieren,  verdichten oder zusammenfassen. Diese Redewendung bedeutet, dass man den Fokus auf etwas legt beziehungsweise sich auf einen Sachverhalt konzentriert. Durch das komprimierte Betrachten können Situation und Zusammenhänge besser erkannt und beurteilt werden.

Wenn wir uns die malerischen Arbeiten des in Berlin lebenden Künstlerpaares Torsten und Nina Römer (bekannt als Römer + Römer) ansehen, müssen wir feststellen, dass hier diese Redewendung genau konträr zu verstehen ist. Denn wenn Sie sich den Bildern nähern und mehr und mehr in den Fokus nehmen, werden Sie erkennen, dass sich die Bildmotive ihrer malerischen Arbeiten aus vielen kleinen, zum Teil überlagernden Farbpunkten zusammensetzen. Sie werden erkennen, dass, je mehr Sie an die Bilder herantreten, die Motive zunehmend verschwimmen und in die Abstraktion übergleiten. Erst mit zunehmender Distanz und dem damit verbundenen Loslösen von den detailreichen malerischen Punkten, formen diese sich im Auge des Betrachters wieder zu etwas Gegenständlichem und der motivische Zusammenhang kehrt wieder zurück. Erst dann ist eine Fokussierung auf das Bildsujet wieder möglich.

Die Aneinanderreihung von Farbpunkten, die im Auge des Rezipienten zu farbigen Flächen und Formen verschmelzen ist in der Kunstgeschichte allerdings kein unbekanntes Phänomen. Denken Sie zum Beispiel an die Op Art (Optical Art) die in den 1960er Jahren en vouge war. Ein Hauptvertreter und Mitbegründer dieser künstlerischen Strömung war Victor Vasarely. Allerdings orientierte sich Vasarely an einer strengen geometrischen Formgebung und an einem konstruktiven Aufbau, so dass eine Ähnlichkeit mit realen, gegenständlichen Dingen nicht gegeben war. Aber gehen wir in der Kunstgeschichte noch ein Stück weiter zurück – bis ins 19. Jahrhundert. Gemeint ist die Strömung des Pointillismus am Ende des 19. Jahrhunderts, bei der die Maler des Post-Impressionismus wie etwa Georges Seurat das Bild – basierend auf der Farbtheorie des Chemikers Eugène Chevreul – in einzelne Farbpunkte auflösten. Dabei wurden komplementäre Kontrastfarben Punkt für Punkt so nebeneinander gruppiert, dass sie, wenn man das Bild aus einiger Entfernung betrachtet, im Auge des Rezipienten zu einer Farbe verschmilzt, was eine intensivere Leuchtkraft des Bildes zur Folge hat. Wahrnehmungspsychologische Phänomene prägen auch die Arbeitsweise von Römer + Römer, wobei die Stilrichtung des Pointillismus und dessen zugrundeliegende Farbtheorie nicht im Fokus des künstlerischen Interesses des Berliner Künstlerduos stehen. Vielmehr sind ihre Arbeiten in Richtung Digital Art sowie deren Auflösung in viele einzelne flirrende Pixel, das heißt Bildpunkte zu denken.

Das Aneinandersetzen der Farbpunkte ist Kern des Schaffensprozesses, bei dem beide Künstler gleichzeitig und nebeneinander an einem Bild arbeiten, das so zu einem nuancierten wie komplexen Zusammenspiel zweier Temperamente und Antriebskräfte wird. Ausgangspunkt der großformatigen Werke von Nina und Torsten Römer sind ausgedehnte Reisen rund um die Welt, auf denen sie Momente und Atmosphären mit ihrer Digitalkamera festhalten. Die Aufnahmen ihrer Studienreisen bilden den Ausgangspunkt für ihre Malerei.

Jede ihrer Arbeiten durchläuft in ihrem Schaffensprozess eine Transformation: Zum einen auf der Ebene der künstlerischen Technik, denn die Gemälde vollziehen einen Wandel von der fotografischen Erfassung zur Aufarbeitung in Form des traditionellen Mediums der Malerei mit sinnlich-haptischem Duktus, die durch die Aneinanderreihung und Überlagerung der Farbpunkte wiederum eine Verpixelung digitaler Bilder imaginiert. Zum anderen transformieren ihre Arbeiten über die Bewegung im Vor und Zurück vom Gestischen, zum Figurativen.

Motive, die von leuchtender Farbigkeit und faszinierender Atmosphäre geprägt sind, formen sich zwar aus dem Bild heraus, dennoch bleibt ein endgültiges Erkennen durch die grobe Auflösung verwehrt. Trotz der Verunklärung und der damit einhergehenden Verrätselung der Bildmotive nimmt der Betrachter sehend und intuitiv das Geschehen in den Arbeiten von Römer + Römer wahr. Es geht um Menschen und Situationen, die die beiden Künstler auf ihren Reisen erleben und fotografisch festhalten.

Nicht auf den ersten Blick erkenntlich, jedoch sind Parallelen zwischen den Arbeiten von Römer + Römer und einzelnen Werken der holländischen Malerei des Goldenen Zeitalters zu erkennen. Wie etwa Jan Vermeer van Delft, der Unsichtbares durch Sichtbares zum Vorschein zu bringen vermochte, gelingt es auch den beiden Berliner Künstlern den Objekten und Menschen in ihren Werken Unsichtbares durch Sichtbares zu verleihen. Zudem scheinen auch die Arbeitsvorgänge des Berliner Künstlerduos und des holländischen Barockmalers Parallelen aufzuweisen. So wie bei Römer + Römer am Beginn ihres künstlerischen Schaffensprozesses die eigenen digitalen Fotografien stehen, so weiß man heute, dass auch Jan Vermeer van Delft bei seinen Werken Gebrauch von der Camera obscura gemacht hat, und zwar in einer Weise, die die Konditionen dieses Mediums nicht negiert, sondern eher sichtbar werden lässt.

Glaubt man dem britischen Künstler und Kunsthistoriker David Hockney in seinem 2001 veröffentlichten Buch „Secret Knowledge: Die Wiederentdeckung der verlorenen Techniken der alten Meister“, haben möglicherweise neben Jan Vermeer van Delft unter anderen Künstlern der Renaissance und des Barock (darunter Hans Holbein und Diego Velázquez) dieselbe oder zumindest ähnliche (fotografische) Techniken verwendet.

Sowohl die Arbeiten von Römer + Römer als auch die Werke von Jan Vermeer van Delft weisen durch diese technische Vorleistung  eine „abstrakte“ Qualität auf, indem sie nicht vorgeben, die Wirklichkeit so abzubilden, wie sie ist, sondern so, wie sie wahrgenommen wird. Die Wirklichkeit, so wie sie sie wahrnehmen, verarbeiten Römer + Römer auch in den Arbeiten der Ausstellung „Radical Ritual“. Anhand einer umfangreichen Werkauswahl, die in Folge ihrer Reisen entstand, setzen sie ihre Eindrücke farbenrauschartig um – von Manga-Fans beim Cosplay über fantasievoll geschmückte Sambatänzer*innen in Rio de Janeiro zu spektakulären Lichtinstallationen und Fantasiewesen der Fusion und des Burning-Man-Festivals, das seit 1990 jeden Sommer für eine Woche in der Wüste des US-amerikanischen Bundesstaates Nevada stattfindet. „Radical Ritual“ lautete im Jahre 2017 der Titel des Burning-Man-Festivals, das Nina und Torsten Römer besuchten und Inspiration für den größten Teil der hier in der Ausstellung gezeigten Werke gab. Sie fangen in ihren Arbeiten die besondere Atmosphäre dieses Festivals ein, die von farbigen Lichtreflexen und einem starken Hell- Dunkelkontrast geprägt ist. In der Darstellung nächtlicher Bildsujets verwandelt sich die Wüstenlandschaft in eine leuchtende Kunstkulisse, die durch hunderte Lichtquellen, -installationen und Feuer erleuchtet ist und in den tausenden Farbpunkten in den Arbeiten von Römer + Römer ihren Ausdruck findet. Im Prozess der Verschränkung von fotografischen und malerischen Aspekten stellen Römer + Römer in ihrem Werk die Frage nach der Bedeutung der Malerei in unserer digitalen Welt. Eine mögliche  Antwort könnte ein Gedanke von David Hockney dazu sein, der sagte: „Die Fotografie ist nicht der Anfang von einer neuen Sehweise gewesen, sondern das Ende einer alten.“ … „Ich bin fast besessen von dieser Idee, von diesem Irrtum der Moderne. Nicht die Fotografie wird überleben, sondern die Malerei. Sie ist die Avantgarde.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen anregenden Abend.

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