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  • Römer+ Römer “Infinite Justice + Deutsch-Russische Knutschperformance”, 2004 русский

Nina und Torsten küssend vor dem Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park,  Foto – Annette Hornischer, 2003

Die Römers (geboren 1978 in Moskau) und Torsten (geboren in Aachen) — arbeiten seit 1998 als Künstlerpaar bei allen Ihren Projekten zusammen. Viele ihrer Arbeiten beschäftigen sich mit der Frage kultureller Identität und sind überwiegend kontextbezogen und interaktiv. Neben der Malerei und der Fotografie wurde in den letzten zwei Jahren das Medium der Performance für sie immer wichtiger. So machte das Künstler-Duo 2002 eine Performance-Tournee durch verschiedene Länder. Gekleidet in islamisch arabische Burkas, die sie gemeinsam mit der Kostümdesignerin Susanne Prümm angefertigt hatten, traten sie verschleiert bei einigen Anlässen in Düsseldorf, Berlin, Stuttgart, Graz, Turin, Paris, Liverpool, Miami und Wladiwostok auf. Die fotografische und filmische Dokumentation der Performances spiegelt die von den Medien beeinflusste Rezeption der Ereignisse des 11. September 2001 wider. Die Reaktionen der Passanten und Ausstellungsbesucher waren überall ähnlich — Staunen und Befremden. Die Kontaktaufnahme aber gestaltete sich jedes Mal anders: In Deutschland etwa war das Verhalten eher ernsthaft und zurückhaltend. Im Berliner Haus am Lützowplatz ließ sich Innenminister Otto Schily — Redner der Ausstellung „Kunst und Schock – der 11. September und das Geheimnis des anderen“ — keine Reaktion anmerken, als alle Fernsehkameras plötzlich auf die Performer umschwenkten. Nur der Chef seiner Bodyguards wurde nervös und stellte sofort einen seiner Leibwächter auf die „Vermummten“ ab. In Italien dominierte hingegen offene Neugierde und eine eher humorvolle Wahrnehmung der Aktion. Nur die italienische Polizei hatte keinen Humor: Die Carabinieri baten die Künstler, ihre Gesichter und ihre Personalausweise zu zeigen. Zum Erstaunen der Polizisten handelte es sich um einen Mann und eine Frau. Der italienische Fotograf Michele d‘Ottavio liefß die Polizei wissen, dass es sich bei der Aktion um Kunst handele Doch trotz aller Erklärungen musste die Performance auf der Stelle abgebrochen werden. Im Rahmen einer von der Galeristin Adriana Schmidt und dem ecuadorianischen Künstler Manuel Cholango veranstalteten Demonstration in Stuttgart trugen Nina und Torsten Römer Plakate mit verschiedenen Aufschriften. Am Bahnhof wurden die Demonstranten vom Sicherheitspersonal vertrieben und bekamen als Kommentar zu der Losung „Love, Peace and Happiness“ zu hören: Die verstehen ja nicht mal Deutschl“ Mancher Angehörige der türkischen Bevölkerungsgruppe hatte mit der englischen Sprache sichtliche Schwierigkeiten und versuchte vergeblich, Parolen wie „m-a-k-e-l-o-v-e-n-o-t-w-a-r” zu entziffern. Die Passanten in der russischen Stadt Wladiwostok zeigten Interesse und fragten nach der Herkunft der Performer. Ein chinesischer Bewohner der Stadt erkundigte sich: „Sind Sie Nofretete?“, und Straßenkinder griffen unter die Burka, um zu erkunden, was sich wohl darunter verberge. Auf der Kunstmesse Art Basel Miami Beach in den USA kündigte ein Kunstsammler nach zweimaliger Begegnung mit Torsten an: „When I see you for the third time, I will marry you“. Laut lachend gab er sein Vorhaben sofort auf, als er das Gesicht des Künstlers zu sehen bekam. Anfang 2003, im ersten Jahr der zwischen den Präsidenten Johannes Rau und Wladimir Putin offiziell beschlossenen „Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen“, begann das Künstlerpaar Römer mit seiner „Deutsch-Russischen Knutschperformance“. Zunächst inszenierten sie sich selbst in roter Kleidung und küssten sich an verschiedenen öffentlichen Plätzen, etwa auf dem türkischen Markt und in den Straßen Berlin-Kreuzbergs oder vor dem bekannten Sowjetischen Ehrendenkmal in Berlin-Treptow. Die Frankfurter Fotografin Annette Hornischer lichtete sie dabei ab. Die beiden Künstler präsentierten sich mit diesen Fotos als vorbildhaftes deutsch-russisches Paar in einer zwischenstaatlichen Identität. In Zeiten, in denen der Ost-West-Gegensatz zwar überwunden scheint, aber die Angst vor neuen „kalten Tagen“ weiterhin im Raum steht, behaupten die Künstler, dass interkulturelle Liebesbeziehungen die stärksten Keimzellen der Völkerverständigung bilden und auch kurzfristige Kulturabkommen überdauern. Bestückt mit den oben erwähnten Fotos, die inzwischen bereits an verschiedensten Orten ausgestellt wurden, akquirierten die Künstler weitere deutsch-russische Paare für die „Knutschperformance“. Im Internet, in Zeitungen und mit selbst gedruckten Karten suchten sie nach fünfzig freiwilligen hetero- und homosexuellen Paaren. Singles waren ebenfalls willkommen. Im Bunker unter dem Berliner Alexanderplatz fand die „Knutschperformance“ schließlich am 2. Oktober 2003 um 22 Uhr erstmals statt. Eine dreiköpfige Jury unter dem Vorsitz von Jekaterina Beljajewa, der „Herrscherin des Inneren Russlands“, bewertete die Paare nach verschiedenen Kriterien, verlieh den Gewinnern Preise und stellte ihnen Urkunden aus. Die erste „Deutsch-Russische Knutschperformance“ war eine Feier der Sinnlichkeit, der Archaik und Akrobatik des Kusses. Die Spielregeln waren nicht starr festgelegt und konnten so für den zweiten Wettbewerb, der exakt einen Monat später stattfand, modifiziert werden. Der Kunstkritiker David Riff stellte dafür eine neue Jury zusammen, wobei jedem der fünf Jurymitglieder zur Bewertung der Paare eine eigene Kernkompetenz zugewiesen wurde. Beurteilt wurde nach den Kriterien: Erfindungsreichtum, Leidenschaft, Ästhetik, Technik und Ausdauer. Es wurden Noten von eins bis zehn vergeben, der Kuss wurde somit zu einem messbaren Wert. Das Gewinnerpaar berechnete sich aus der Addition der jeweiligen Noten. Die zweite Knutschperformance glich einem sportlichen Wettkampf, den die Akteure nicht unsinnlich, aber sehr ernsthaft betrieben. Das punktbeste Paar wurde zum stolzen Gewinner einer Schlagbohrmaschine. Auf den Spuren von Fjodor Dostojewski und Iwan Turgenew – Spiel, Spaß und Leidenschaft – findet die dritte Folge der „Deutsch-Russischen Knutschperformance“ in Baden-Baden statt. Ausgewählte Paare der letzten beiden Wettbewerbe werden in den Kurort eingeladen, um an diesem idyllischen Platz zu knutschen. Vor Ort werden durch Zeitungsanzeigen und mittels Internet weitere Paare und mutige Singles gesucht.

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